Entstehung der Landschaft - Hinterlassenschaften kaltzeitlicher Naturraumbedingungen

Ablagerungen und Oberflächenformen kaltzeitlicher Inlandvergletscherung

Die Anzahl der im nördlichen Mitteleuropa bisher wirksam gewordenen kaltzeitlichen Inlandvergletscherungen ist noch immer – oder seit mehr als einigen Jahrzehnten erneut – in der Forschung strittig. (Vgl. zum Stand der Diskussion V. Lozek 1972, Vl. Sibrara 1978 und J. H. Schroeder 2000). Gut bekannt sind demgegenüber Beschaffenheit, Mächtigkeit und räumliche Differenzierung der vom nordeuropäischen Inlandeis hinterlassenen Ablagerungen. Es sind sedimentäre Lockergesteine, deren durchschnittliche Mächtigkeit sich in der Regel auf 50...100 m beläuft (Marcinek und Nitz 1973, S. 24). Die höchste bisher bekannte Mächtigkeit pleistoztäner Ablagerungen im Tiefland zwischen Elbe und Oder wurde bei Hagenow (Bezirk Schwerin) mit 427 m erbohrt (W.v. Bülow 1967, Abb. 3).

Die Lockersedimente des Eiszeitalters haben im Allgemeinen die Gesteine und Oberflächenformen höheren erdgeschichtlichen Alters unter sich begraben. Die erreichen deshalb nur stellenweise und auf kleinen Flächen die gegenwärtige Geländeoberfläche. Dort kommt es zu Durchragungen des Präquartärs. Dabei handelt es sich teils um lockere Sedimentgesteine aus der Braunkohlenzeit, dem Tertiär, teils um Festgesteine aus noch weiter zurückliegenden Abschnitten der Erdgeschichte. Ihnen begegnen wir auf der Insel Rügen (Kreidefelsen der Halbinsel Jasmund und bei Kap Arkona) sowie in der Mark Brandenburg (Muschelkalk von Rüdersdorf, Kr. Fürstenwalde; Zechsteingips bei Sperenberg, Kr. Zossen). Ihr Flächenanteil am Gesamtgebiet ist jedoch gering.

Die Zeugen kaltzeitlicher Inlandvergletscherungen bestimmen demgegenüber im überwiegenden Teil des nordmitteleuropäischen Tieflandes den regionalen Bauplan der Oberflächengestaltung und der oberflächigen Substratdifferenzierung. Dabei unterscheiden sich die mit den aufeinanderfolgenden Kaltzeiten einhergehenden Vorstöße des skandinavischen Inlandeises im mitteleuropäischen Pleistozän nach ihrer Reichweite. Zeitweilig wurde sogar der Nordrand der zentraleuropäischen Mittelgebirgszone erreicht und – u.a. im Thüringer Becken sowie im Norden von Böhmen und Mähren – sogar überschritten. Nachfolgende Kaltzeiten blieben mit ihrer lnlandvergletscherung immer mehr hinter jener Maximalausbreitung zurück, begruben aber jeweils unter einer erneuten Lockersedimentüberdeckung weithin die Ablagerungen vorangehender Gletschervorstöße. Auch außerhalb der erneut vergletscherten Gebiete war jede neue Kaltzeit mit einer Intensivierung der Sedimentation verbunden, die u.a. verbreitet zu Lößanwehungen und Flußaufschotterungen führte. Die Zeugnisse erdgeschichtlich älterer Inlandvergletscherungen sind deshalb in ihrem gesamten Verbreitungsgebiet überwiegend durch Lockersedimente aus nachfolgenden Kaltzeiten verdeckt. An der Gestaltung und Substratdifferenz der gegenwärtigen Geländeoberfläche gewinnen sie deshalb nur verhältnismäßig geringen Anteil. Folglich sind es vor allem Hinterlassenschaften der letzten, erdgeschichtlich jüngsten pleistozänen Kaltzeit, die im nordostdeutschen Tiefland die Grundzüge der Oberflächenformung und Substratdifferenzierung und infolgedessen indirekt auch die hiervon abhängigen Leitlinien für andere Komponenten der naturräumlichen Ausstattung bestimmen. Die noch immer strittige Frage nach der Gesamtzahl der in diesem Gebiet wirksam gewordenen pleistozänen Vergletscherungen ist dabei in diesem Zusammenhang von untergeordneter Bedeutung.

Gleichwohl gehören die oberflächenbildenden Ablagerungen und Reliefformen im nordmitteleuropäischen Tiefland unterschiedlichen aufeinanderfolgenden Kaltzeiten an. Im Gebiet zwischen der Ostseeküste und der Brandenburger Eisrandlage dominieren die Zeugnisse der bisher letzten Inlandvergletscherung im nördlichen Mitteleuropa, die hier als Weichselvereisung bezeichnet wird. Dieses Gebiet wird deshalb als Jungmoränengebiet bezeichnet. Südlich ist ihm ein breiter Saum vorgelagert, der sein oberflächiges Gepräge gleichfalls weitaus überwiegend durch Bildungen des Inlandeises erhält, jedoch entstammen diese teils der Vergletscherung während der vorletzten Kaltzeit, teils erdgeschichtlich noch weiter zurückliegenden Inlandeisvorstößen. Im Unterschied zum Jungmoränengebiet wird dieser teil des Tieflandes als Altmoränengebiet gekennzeichnet.

Ungeachtet dieses erdgeschichtlich ungleichen Alters der oberflächenbildenden pleistozänen Lockersedimenten und Reliefformen folgt deren Anordnung und gegenseitige Verknüpfung im gesamten glaziär gestalteten Teil des nordmitteleuropäischen Tieflandes festen Regeln, deren Grundzüge, wenn auch mit Unterschieden im Detail sowohl im Jungmoränengebiet wie auch im Altmoränengebiet gültig sind. Diese Regeln finden in den von Gletschern der Gegenwart erzeugten Ablagerungen und Formengemeinschaften ihre aktualistische Erklärung (Abb. 4).



Rückrat des dort entstehenden Anordnungsmusters von Sedimenten und Reliefformen ist der von Geschiebemergeln und Schmelzwasserablagerungen gebildete charakteristische Höhenzug der Endmoräne. Ihm vorgelagert sind nahezu ebene Kies- und Sandflächen, die auf Schmelzwasserablagerungen im Vorland des Eisrandes zurückgehen. Sie werden als Sander bezeichnet. (isländisch sandr., sandur = Schotter- und Sandfläche). Im Rückland der Eisrandlage dagegen hat der Gletscher tiefe Zungenbecken ausgeschürft, die nach seinem Abtauen zunächst von Seen erfüllt sind, welche in der jeweils nächst folgenden Warmzeit einer fortschreitenden Verlandung unterliegen. Dabei kommt es zu einer zunehmenden Aufhöhung des Seebodens durch organische Ablagerungen. Den rückwärtigen Abschluss der gesamten Abfolge bilden die Geschiebemergelflächen von Grundmoränenplatten, die nicht selten nochmals durch Schmelzwassersande und -kiese jüngerer Serien von gleicher Art überdeckt werden. Die ganze Abfolge wird nach Forschungen von A. Penck und E. Brückner (1901) im alpinen Raum als glazäre Serie bezeichnet (glaziale Serie bei Marcinek und Nitz 1973, S. 47-54). Der beschriebene Formenschatz wird durch sogenannte Begleitformen (Marcinek und Nitz 1973, S. 54) ergänzt. Sie werden als Oser, Kames, Drumlins und Rinnenseen bezeichnet. Das stratigraphische Gegenstück zur glaziären Serie ist der glaziäre Zyklus (Heck 1961). Hier folgen in der Schichtenfolge übereinander die Ablagerungen, die in der glaziären Serie an der Geländeoberfläche aneinander grenzen. Die stratigraphische Aufeinanderfolge ist Abbild einer zeitlichen, d.h. landschaftlichen Abfolge (Tab. 4).


Tab. 4: Sedimentationsfolge für einen glaziären Zyklus (aus Heck 1951)


Das Anordnungsmuster der glaziären Serie wiederholt sich vielfältig in aufeinanderfolgenden Gürteln von vergleichbarer Eigenart, die von Süd nach Nord dem nordmitteleuropäischen Tiefland eine kennzeichnende Oberflächengliederung aufprägen. Ihr erdgeschichtliches Alter nimmt in gleicher Richtung ab. Trotzdem zeigt ihr Bauplan weitgehende Übereinstimmung. Nur in einigen Merkmalen unterscheiden sich die glaziären Serien im Jung- und Altmoränengebiet. So unterscheidet sich das Jungmoränengebiet vom Altmoränengebiet durch seine zahlreichen noch erhaltenen Seen, und beide werden durch die sogenannte Seengrenze (Tietze 1917) voneinander getrennt.

Insgesamt ergibt sich eine Unterscheidung der in glaziären Serien auftretenden Ablagerungen nach Entstehungsraum und Entstehungsweise:

Glazigen sind die vom Eis selbst hinterlassenen Lockersedimente. Sie werden repräsentiert durch den Geschiebemergel, aus dem durch Entkalkung Geschiebelehm hervorgeht.

Ablagerungen von Schmelzwässern sind glazifluviatil (lat. Fluvius = Fluss), wenn sie dem fließenden Wasser ihre Entstehung verdanken. Schmelzwasserabsätze stehender Gewässer, z.B. Zungenbeckenseen, werden als glazilimnisch (griech. limne = stehendes Gewässer) bezeichnet.

Glazigene und glazifluviatile Sedimente bilden die verbreitetsten Substrattypen im nordmitteleuropäischen Tiefland.

Die maßgebliche Bedeutung der pleistozänen Kaltzeiten für die gegenwärtige Naturraumausstattung und -differenzierung in diesem Gebiet erstreckte sich jedoch nicht allein auf den Bereich der jeweiligen Inlandvergletscherung mit ihren glaziären Serien. Vielmehr wurden auch in ihrem Umland durch die Eigenart kaltzeitlicher Klimabedingungen Prozesse der Oberlächenformung, der Ablagerung von Lockersedimenten sowie der Profildifferenzierung oberflächenbildender Substrate ausgelöst.



Ablagerungen und Oberflächenüberprägung aus dem periglaziären Milieu im Umland kaltzeitlicher Inlandvergletscherungen

Die für die Ausbreitung des Inlandeises bestimmende kaltzeitliche Temperaturdepression wurde weit über das vergletscherte Gebiet hinaus wirksam. Dies begünstigte die Entstehung eines Dauerfrostbodens in seinem Umland. Mit der Zunahme der Inlandvergletscherung war die Ausbildung relativ stabiler Hochdruckzellen über dem Inlandeis, zugleich aber auch eine Absenkung des Meeresspiegels in den Randmeeren des europäischen Kontinents verbunden, die vor allem in Flachseegebieten eine deutliche seewärtige Verschiebung der Küstenlinien nach sich zog. Beide Vorgänge trugen zu einer Zunahme der Kontinentalität im Innern des Kontinents bei, die ihrerseits die Ausbreitung von Inlandeis und Dauerfrostboden eher hemmte als förderte, zugleich aber ebenso wie die verbreitete Temperaturdepression in großen Gebieten die Offenlandvegetation gegenüber Gehölzformationen begünstigte. Im Zusammenspiel unterschiedlicher, jedoch gleichzeitig wirksamer Tendenzen klimatischer Wandlung erfuhr der insgesamt zyklische Verlauf kaltzeitlicher Klimaentwicklung eine weitgehende Differenzierung, die zu einer regelhaften Aufeinanderfolge unterschiedlicher Klimaphasen führte und in bestimmten Grundzügen von Kaltzeit zu Kaltzeit wiederholt wurde (Kukla 1969, 1975). Dabei wechselten kühlere Abschnitte (Stadiale), in denen in der Regel das Inlandeis sein Areal ausweiten konnte, und wärmere Abschnitte (Interstadiale), in denen die Verschiebung der Gletscherfront unterbrochen oder sogar rückläufig wurde, miteinander ab.

Ebenso wie die Zeugnisse ehemaliger Vergletscherungen im nördlichen Mitteleuropa erfordern auch Hinweise auf Dauerfrostboden und andere Besonderheiten der Klima- und Landschaftsentwicklung im Umland der vergletscherten Gebiete eine aktualistisch begründete und abgesicherte Erklärung. Sie wird dadurch erleichtert, dass es auch gegenwärtig noch auf der Erde große Gebiete gibt, in denen die klimatischen und landschaftlichen Verhältnisse denen im kaltzeitlichen Mitteleuropa entsprechen.

Das gegenwärtige Verbreitungsgebiet des Dauerfrostbodens im nördlichen Eurasien (vgl. Frenzel 1960, Abb. 4) als auch auf dem nordamerikanischen Kontinent umfasst sowohl Waldgebiete als auch Areale mit Offenlandvegetation. Die Offenlandvegetation bedeckt Gebiete, in denen die Waldgehölze aus unterschiedlichen Gründen ökologisch benachteiligt sind. Neben der in der Nacheiszeit einsetzenden großflächigen Waldrodung durch den Menschen kommen hierfür vorrangig klimaabhängige Ursachen in Betracht. Vorrangig sind dies die thermische und die hygrische Benachteiligung der Gehölze, d.h. mangelndes Wärmeangebot oder mangelndes Feuchteangebot.

Mangelndes Wärmeangebot kennzeichnet in der Gegenwart die Gebiete jenseits der polaren Baumgrenze, die auf der Nordhemisphäre gegenwärtig etwa mit der 10°-isotherme des wärmsten Monats zusammenfällt, d.h. in sämtlichen Monaten des Jahres wird eine Mitteltemperatur von +10°C unterschritten. Unter diesen Bedingungen tritt als Vegetationsformation an die Stelle des Waldes die Tundra. Bei mangelndem Feuchteangebot bleibt ganzjährig oder in einem Teil des Jahres der Überschuss der Niederschläge gegenüber der temperaturabhängigen Verdunstung zu gering, um Baumzuwachs zuzulassen, sofern nicht die Verdunstung sogar überhaupt das Niederschlagsangebot überwiegt. Steppenvegetation (oder sogar Wüste) ist die Folge.

Alle drei Vegetationsformationen (Tundra, Taiga und Steppe) können mit Dauerfrostboden verbunden sein. Dagegen kann in der Vollwüste Dauerfrostboden nicht entstehen, da Dauerfrostboden die Anwesenheit von Wasser, das gefrieren kann, im Porenraum des Bodens bzw. eines Lockergesteins voraussetzt. Bei Aufzehrung aller auftretenden Niederschläge durch die Verdunstung kann sich aber im Porenraum kein Wasser ansammeln.

Aus dem gleichen Grunde bietet die Steppe der Ausbildung des Dauerfrostbodens weniger günstige Bedingungen als Tundra oder Waldbestände. . Damit erhalten andere, durch kontinentale Klimabedingungen begünstigte Vorgänge der Oberflächenbildung und Sedimentation im Vergleich zu den Folgewirkungen des Dauerfrostbodens erhöhte Bedeutung. Es sind dies vor allem der mechanische Gesteinszersatz durch Frostwechsel, der auch als Kongelifraktion (lat. Cum = mit, gelivare = gefrieren machen, frangere = sprengen, zertrümmern) bezeichnet wird, sowie äolische Prozesse (griech. Äolos = König der Winde).

Mit dem Dauerfrostboden sind kennzeichnende Prozesse nicht nur der oberflächigen Geländeformung und Sedimentation, sondern auch der Veränderung oberflächiger Substrate durch Gefügeumbau verbunden. Alle diese Prozesse werden als periglaziär (griech. peri = um etwas herum; lat. Glacies = Eis) bezeichnet.

Der periglaziäre Gefügeumbau ist vielfach, aber keineswegs obligatorisch mit einer lateralen Materialumlagerung und in deren Gefolge mit Sedimentationsvorgängen verbunden (Kryotranslokation). Dabei werden unterschiedliche Prozesse wirksam, die jedoch ein gemeinsames Merkmal aufweisen: Betroffen ist jeweils derjenige oberflächennahe Tiefenbereich unter der periglaziären Geländeoberfläche, der über Dauerfrostboden dem alljährlichen Wechsel von sommerlichem Auftauen und erneuter winterlicher Bodengefrornis unterliegt. Innerhalb dieses Tiefenbereiches werden den oberflächenbildenden Substraten dauerhafte Gefügemerkmale aufgeprägt, die auch über den Zeitraum einer Einwirkung periglaziärer Milieubedingungen hinaus erhalten bleiben. Infolge dessen können derartige Gefügemerkmale der oberflächigen Substrate noch in der Gegenwart, unter den seit Jahrtausenden nicht mehr periglaziären Milieuverhältnissen der Nacheiszeit, auf ausgedehnten Flächen im nordmitteleuropäischen Tiefland festgestellt werden. Sie tragen hier aber reliktischen Charakter und sind, ebenso wie die Oberflächenformen und Ablagerungen der Inlandvergletscherungen, Hinterlassenschaften und Zeugnisse andersartiger Milieuverhältnisse in zurückliegenden Abschnitten der erdgeschichtlichen Entwicklung. Die wesentlichen substratwirksamen Prozesse im sogenannten Auftauboden über Dauerfrostboden sind Kryoperstruktion, Kryoturbation und Solifluktion.

Dabei umfasst die Solifluktion (lat. Solum = Boden; fluere = fließen) die lateralen Materialverlagerungen, die im wassergetränkten Auftauboden über wasserundurchlässigem Dauerfrostboden während der sommerlichen Auftauphase bereits bei geringen Hangneigungen einsetzen (I.G. Anderson 1906).

Kryoturbation (griech. kryos = Eis; lat. turbare = verwirren, durcheinander bringen) bezieht sich auf Gefügestörungen im Substrat des Auftauboden, die zur Verwürgung und Verformung von Schichten mit unterschiedlicher Körnung und Lagerungsdichte führen (Edelmann, Florschütz und Jeswiet 1936).

Kryoperstruktion (griech. Kryos = Eis; lat. perstruere = umbauen, völlig verbauen) bezeichnet eine durch häufigen Frostwechsel in der Auftauzone des Dauerfrostbodens hervorgerufene Gefügedestruktion durch Filtergerüstumbau, der einerseits zur Entschichtung (Destratifikation) anderseits zu einer schwereabhängigen Vertikalverlagerung und schichtartigen Anreicherung der grobklastischen Komponente in klastischen Substraten (Kryolithotropie) führt (Kopp u.a. 1969; Jäger 1979 b).

Die durch die Prozesse bewirkten Gefügeveränderungen sind in den gegenwärtigen Dauerfrostgebieten und waren auch im kaltzeitlichen Mitteleuropa an einen begrenzten Tiefenbereich unter der periglaziären Geländeoberfläche gebunden, der durch die Tiefe des Auftaubodens bestimmt wird. Damit wird die mit diesen Prozessen verbundene Geländeoberfläche auch später an Hand reliktischer Gefügemerkmale der oberflächenbildenden Substrate rekonstruierbar (Kopp und Jäger 1972).

In weiten Gebieten des Grundmoränengebietes ist der Zeitraum ihrer Entstehung genauer datierbar, da dort die glaziären Serien der letztkaltzeitlichen Inlandvergletscherung bereits eine, stellenweise sogar stratigraphisch differenzierte oberflächige Gefügeüberprägung durch periglaziär Prozesse aufweisen. Deren Wirksamkeit konnte dort zwangsläufig erst nach dem Abschmelzen des letztkaltzeitlichen Inlandeises einsetzen; muss aber anderseits, wegen der ursächlichen Bindung periglaziäre Vorgänge an kaltzeitliche Milieuverhältnisse, noch in den zeitlichen Rahmen der gleichen Kaltzeit eingeordnet werden. Diese Regel gilt für das gesamte Jungmoränengebiet, während im Altmoränengebiet mit einer wiederholten oder sogar mehrfachen Oberflächenüberprägung durch Ausbildung eines Dauerfrostbodens während unterschiedlicher, zeitlich einander folgender Kaltzeiten gerechnet werden muss.

Darüber hinaus verdient das verbreitete Auftreten von Gefügemerkmalen periglaziärer Herkunft in Substraten der gegenwärtigen Geländeoberfläche noch in einem anderen Zusammenhang Beachtung: die Abhängigkeit dieser Merkmale vom Verlauf der periglaziären Geländeoberfläche legt in allen Fällen dieser Art eine weitgehende Kongruenz mit dem gegenwärtigen Relief nahe und nötigt so zur Annahme einer weitgehenden Stabilität der Oberflächenformen über viele Jahrtausende hinweg. Umgekehrt ist dort, wo diese Kongruenz fehlt, der Schluss auf eine spätere Veränderung der im periglazial der letzten Kaltzeit entstandenen Reliefverhältnisse durch Vorgänge der Erosion oder Sedimentation unter den nicht mehr periglaziären Milieuverhältnissen der Nacheiszeit, d.h. der holozänen Warmzeit, zu begründen. Derartige Milieuverhältnisse werden im Unterschied zu den glaziären Bedingungen im vergletscherten Gebiet und zu den periglaziären Gegebenheiten im Bereich des Dauerfrostbodens als extraperiglaziär bezeichnet.

Dies bedeutet: Im zeitlichen Ablauf widerspiegelt die periglaziäre oberflächige Überprägung glaziärer Serien die Ablösung glaziärer Milieuverhältnisse durch periglaziäre Bedingungen im Rahmen der gleichen Kaltzeit, während die teilflächig beobachtete erosive Abtragung oder sedimentäre Überdeckung der periglaziär gestalteten Geländeoberfläche den Wandel zu den extraperiglaziären Milieuverhältnissen der nachfolgenden Warmzeit bekundet. Auch dieser Wandel nahm indessen einen differenzierten Verlauf, der an Hand von Merkmalen der gegenwärtigen Naturraumausstattung rekonstruierbar ist.

Ihre landschaftsgeschichtliche Interpretation ist aber wieder auf die Auswertung aktualistischer Beobachtung angewiesen. So verbindet sich mit der zonalen Gliederung des gegenwärtigen Periglaziärgürtels im nördlichen Eurasien in drei Vegetationsformationen (Tundra, Taiga und Kältesteppe) eine unterschiedliche Intensität und Bedeutung der für Sedimentation und Oberflächenformung maßgeblichen Vorgänge (Tab. 5):


Tab. 5: Zonale Einordnung und Gliederung des periglaziärren Gürtels nach Prozesskombinatione


Die Prozesse der Kongelifraktion und der äolischen Materialverlagerung sind in der Steppe nicht nur durch kontinentale Klimabedingungen sondern auch durch die dort herrschende Offenlandvegetation begünstigt, die überdies lückenhaft sein kann. Vergleichbare Verhältnisse sind ihrem Wirken auch in der Tundra förderlich, während die Walddecke in der borealen Nadelwald-Taiga sowohl diesen Prozessen als auch der Solifluktion entgegenwirkt. Deshalb erlangen gegenwärtig die verschiedenen Vorgänge der Oberflächenformung und -überprägung in Abhängigkeit von periglaziärem Dauerfrostboden und auch von mehr oder minder kontinentalen Klimabedingungen in verschiedenen Teilbereichen des jetzigen Dauerfrostgebietes unterschiedliche Bedeutung und gestatten so an Hand von Kombinationen und Dominanz unterschiedlicher Prozesse eine innere Differenzierung des periglaziären Gürtels.

Die im nordmitteleuropäischen Jungmoränengebiet verbreiteten Zeugnisse periglaziären Klimas im Hoch- und Spätglazial der letzten Kaltzeit (u.a. Liedtke 1957/58; Jäger u.a. in Kopp u.a. 1969) gestatten somit eine lanschaftsgeschichtliche Interpretation. So besagt das gelegentlich beobachtete Auftreten von Solifluktionsdecken auf glaziären Ablagerungen (Pisede, Kr. Malchin: Hartwich, Jäger und Kopp 1972), dass dort dem glaziären Milieu der Inlandvergletscherung das euperiglaziäre Milieu der Tundra folgte. Perstruktionszonen an der Oberfläche der Solifluktionsdecken geben in diesen Fällen dessen nachfolgende Ablösung durch die boreoperiglaziären Verhältnisse einer Taiga zu erkennen, die dem nacheiszeitlichen Einzug temperater Laubmischwälder vorausging.