Entstehung der Landschaft - Naturraumzustandund -veränderungen im extraperiglaziären Milieu der Nacheiszeit

Mit dem Übergang zu temperaten Milieuverhältnissen kam es zur Ablösung der borealen Nadelwälder durch sommergrüne Laubmischwälder. Die an den Auftaubereich des Dauerfrostbodenprofils gebundenen Prozesse oberflächiger Substratüberprägung und Materialumlagerung setzten damit aus, die oberflächige Anreicherung organischer Substanz und die mit ihr verbundenen Vorgänge der Bodenbildung dauerten an.

Die Umsetzung der organischen Substanz führte auf terrestrischen Standorten zur Ausbildung eines Humushorizontes, der den Verlauf der Geländeoberfläche nachzeichnet. In Bereichen mit ganzjährig oder zumindest jahreszeitlich anaeroben Bedingungen (griech. an = un-, nicht; aer = Luft) durch oberflächiges Grundwasser, periodische und lang andauernde Überflutungen von Flussauen, sowie in stehenden Gewässern und auf temporär überstauten Flächen waren diese Umsetzungsprozesse soweit gehemmt, dass sei mit dem Anfall toter organischer Substanz nicht mehr Schritt halten konnten. Dort entstanden Torfe und Mudden (siehe Abschnitt B2): Muddeablagerung kennzeichnet vor allem die Verlandung offener Gewässer. Dies gilt sowohl für die in der Jungmoränenlandschaft vom Inlandeis der letzten Kaltzeit hinterlassenen zahlreichen Seen als auch für die im Verlaufe der Nacheiszeit neu entstandenen stehenden Gewässer, die u.a. im Küstengebiet der Ostsee durch die Abgliederung ehemaliger Meeresbuchten (Boddengewässer), im Binnenland durch vielfältige Laufverlegungen der Flüsse in Talauen und Niederungen (Altwasserläufe) entstanden sind. Die Ablagerungsfolgen der Torfe und Mudden sind für die Ermittlung der nachzeitlichen Landschaftsentwicklung von besonderem Wert, da sich in den einzelnen Schichten zahlreiche bestimmbare Überreste der Vegetation ihrer Entstehungszeit vielfach bis zur Gegenwart erhalten konnten. Dies ermöglichte für jede einzelne Schicht Feststellungen zum Vegetations- und Landschaftscharakter während ihrer Entstehungszeit. Auch Veränderungen des Vegetationsbildes im Entstehungszeitraum der gesamten Schichtenfolge werden fassbar.

Im Regelfall bezeugt jede in einem Sediment fossil nachgewiesene Tier- oder Pflanzenart für dessen Entstehungszeitraum bestimmte ökologische Verhältnisse in einem bestimmten Gebiet. Diese ökologische Aussage kann das Herkunftsgebiet verlagerten Materials, den Sedimentationsraum oder beide zusammen umfassen. Bei Ablagerungen aus der Nacheiszeit bestehen besonders günstige Möglichkeiten, das ökologische Aussagevermögen einzelner Tier- und Pflanzenarten wie auch fossil belegter einstiger Biozoenosen für landschaftsgeschichtliche Feststellungen nutzbar zu machen, denn die dort erfassten Arten verfügen im allgemeinen noch über ein rezentes Areal oder sind doch erst in historischer Zeit ausgestorben. Ihre Umweltansprüche sind also der aktualistischen Untersuchungen noch zugänglich und können bei der Ermittlung der Klima- und Landschaftsentwicklung herangezogen werden.

Besondere Bedeutung für solche Untersuchungen haben die Pollen von Blütenpflanzen erhalten, deren reichliche Überlieferung in Torfen und Mudden eine besonders aussagekräftige Methode landschaftsgeschichtlicher Untersuchungen ermöglicht hat (F. Firbas 1949, S. 952). Im nordmitteleuropäischen Tiefland gehen die entscheidenden Erkenntnisse zur nacheiszeitlichen Vegetations- und Klimaentwicklung bis zur Gegenwart vorrangig auf diese als Pollenanalyse bezeichnete Methode zurück.


Tab. 6: Landschaftsentwicklung im nordmitteleuropäischen Tiefland seit der letzten Kaltzeit (nach K.D. Jäger, H.M. Müller und B. Gramsch aus Kopp u.a. 1969)


Die nacheiszeitliche Vegetationsentwicklung nach Ergebnissen der zuvor genannten Pollenanalyse ist aus Tabelle 6 im Vergleich zur Entwicklung des Klimas, des geologischen Substrates und der menschlichen Kulturen ersichtlich. Nach den vorliegenden Pollenanalysen zeigt die nacheiszeitliche Vegetationsentwicklung im gesamten nordmitteleuropäischen Tiefland gemeinsame Züge. Am bedeutendsten ist dabei die im älteren Holozän einsetzende Ablösung der bereits im Weichsel-Spätglazial entstandenen Wälder aus Kiefer und Birke durch Artenreiche anspruchsvollere Laubmischwälder, die standortsabhängig in ihrer Zusammensetzung differenziert sind. Die im Weichsel-Spätglazial noch sehr deutliche Gürtelung der Vegetationsentwicklung in süd-nördlicher Richtung verliert in der Nacheiszeit an Bedeutung. Dennoch zeigt sich eine deutliche Süd-Nord-Verzögerung auch noch in der jüngeren Nacheiszeit, etwa mit der Einwanderung der Rotbuche in das nordmitteleuropäische Tiefland.

Die weitere natürliche Entwicklung in der jüngeren Nacheiszeit ist gekennzeichnet durch eine Begünstigung der Buche, besonders im Jungmoränengebiet (Lange 1971 b). Offenbar hat die Buche zeitweilig ein größeres Teilgebiet des Tieflandes eingenommen als in der Gegenwart. Mittelalterliche Ortsnamen slawischer und deutscher Herkunft mit dem Namen der Buche als Bestimmungswort deuten darauf hin (Klix und Krausch 1958). Einzelheiten sind aus Tabelle A.6 ersichtlich.

Tabelle A.6 enthält zugleich eine aus der Vegetationsgeschichte abgeleitete Klimageschichte. Die Vegetations- und Klimageschichte werden zur chronostratigraphischen Gliederung des Jungquartärs, zum Wandel des Milieus, zu den Sedimentationsvorgängen und zur Aufeinanderfolge der ur- und frühgeschichtlichen Kulturen in Beziehung gesetzt.

Die klimageschichtliche Aussage der Vegetationsentwicklung bedarf der Ergänzung durch andere Methoden landschaftsgeschichtlicher Untersuchung. So wird in Schichtenfolgen klastischer Flussablagerungen wie auch von Binnenwasserkalken der Wechsel von feuchteren und trockneren Abschnitten in der nacheiszeitlichen Klimaentwicklung Mitteleuropas häufig durch einen Wechsel von sedimentären Ablagerungen mit begrabenen Böden präziser widergespiegelt als im pollenanalytisch fassbaren, aber langsamer ablaufenden Wandel der Vegetationsverhältnisse (zusammenfassend u.a. Jäger 1969, 1970 a; Jäger und Lozek 1978 a). Besonders aussagefähig sind in diesem Zusammenhang Sedimentfolgen von Binnenwasserkalken.

Binnenwasserkalke sind Unterwasserablagerungen, nicht selten aber nach ihrer Ablagerung, z.B. durch Melioration, trocken gefallen bzw. über den gegenwärtigen Grundwasserspiegel herausgehoben. Zuweilen ist dann auch ihre Schichtenfolge aufgeschlossen, beispielsweise durch örtliche Mergelgruben, und gelegentlich sind in dieser Schichtenfolge begrabene Humushorizonte erkennbar. Sie bezeugen, dass im Sedimentationsraum dieser Ablagerungen die Bedingungen eines Unterwasserstandortes mit solchen zeitweiliger oder ständiger Grundwasserferne für längere Zeit wechselten. Im Tiefland zwischen Elbe und Oder deuten pollenanalytische Beobachtungen an Schichtfolgen von Torfen und Mudden (H. M. Müller 1971; E. Lange 1971) in die gleiche Richtung.

Im Vergleich zu den vielfältigen Vorgängen der Ablagerung und Oberflächenformung unter glaziären und periglaziären, möglicherweise auch paraperiglaziären Milieuverhältnissen während der Weichsel-Kaltzeit folgte der letzten Kaltzeit somit in Mitteleuropa während der älteren und mittleren Nacheiszeit eine Periode mit geringer Reliefveränderung und beschränkter Sedimentation. Besonders eingeschränkt war im Vergleich zur vorangehenden Kaltzeit die klastische Sedimentation. Hierzu kam es am ehesten durch Hochwasserfolgen in den Talauen größerer Flüsse.