Entstehung der Landschaft - Zeugnisse anthropogener Eingriffe in den Landschaftshaushalt im Wechselspiel mit natürlichen Milieuveränderungen während der letzten Jahrtausende

ine kräftige Wiederbelebung der Sedimentationsprozesse und besonders eine erneute Ausweitung und Intensivierung von klastischer Sedimentation und Umgestaltung der Reliefverhältnisse erfolgte jedoch im jüngeren Holozän, d.h. im Verlauf der letzten Jahrtausende (Jäger 1973 a; Lozek 1976). Die Veränderung der Sedimentationsdynamik griff in dieser Zeit auch auf die Ablagerungsräume von Torfen und Mudden besonders in den Talauen über (Jäger 1962). Die erneute Verstärkung der klastischen Sedimentation unterscheidet sich hierin von derjenigen im periglaziären Milieu der letzten Kaltzeit. Die jungholozäne Ausbreitung von Umlagerungsvorgängen und Reliefgestaltung geht nicht auf eine grundsätzliche Änderung der allgemeinen natürlichen Voraussetzungen zurück. Sie ist die Folge zunehmender Eingriffe des Menschen in den natürlichen Landschaftshaushalt. Zwischen der Art dieser Eingriffe und ihren Folgewirkungen im Naturraum sind vielfach feste Zusammenhänge erweisbar (Tab. A.7 nach Jäger 1978). Die Oberflächenkonstanz seit dem Ende der letzten Kaltzeit wurde vielfach wieder durch Reliefveränderung abgelöst. Der so entstandenen Geländeoberfläche fehlen aber Merkmale periglaziärer Überprägung, was sich aus dem Zeitraum ihrer Entstehung ergibt. Wir kennzeichnen sie als extraperiglaziär (Kopp u.a. 1969).


Tab. 7: Holozänstratigraphische Belege für naturräumliche Folgewirkungen von Maßnahmen landwirtschaftlicher Flächennutzung im ur- und frühgeschichtlichen Mitteleuropa


Die hier erfassten Prozesse haben, wenn auch nicht stetig so doch generell, vom Neolithikum, d.h. seit dem Beginn agrarischer Flächennutzung im nördlichen Mitteleuropa bis zur Gegenwart immer mehr an Bedeutung gewonnen (Jäger und Lozek 1978 b). Dabei handelt es sich vorwiegend um ungewollte Veränderungen der natürlichen Umweltbedingungen des Menschen durch den Menschen.

Seither ist die holozäne Landschaftsentwicklung in Mitteleuropa durch ein vielfältiges Zusammenspiel von ursächlich voneinander unabhängigen, aber im Regelfall gemeinsam wirksamen Gestaltungstendenzen bestimmt, von denen die eine auf natürliche Ursachen des Umweltwandels, wie klimatische Veränderungen, die andere auf menschliches Wirken, Siedlungstätigkeit und Landnutzung zurückgeht. Beide beeinflussen einander auch wechselseitig, und ihre Auswirkungen auf den Landschaftszustand können einander bald verstärken, bald sich gegenseitig abmindern oder aufheben.

So lässt die Intensität von Siedlungstätigkeit und agrarischer Landnutzung sowohl regionale Unterschiede mit Beziehungen zur räumlichen Differenzierung des Niederschlagsfeldes erkennen als auch Abhängigkeit vom wechselnden Niederschlagsangebot in aufeinanderfolgenden Zeitabschnitten, die sich u.a. in der bereits erwähnten Stratigraphie der Binnenwasserkalkablagerungen widerspiegeln (Jäger 2002). Umgekehrt haben regionale und vor allem zeitliche Veränderungen in der Intensität von Besiedlung und agrarischer Landnutzung Auswirkungen auf diejenige von Materialumlagerungen und klastischer Sedimentation sowohl durch den Wind, erkennbar vor allem in überdünten Regionen Mitteleuropas (Kozarski u Nowaczyk 1990, Taf. 2) als auch durch Wasser, besonders in Talauen (Jäger 1962, 1973: Litt, Kohl, Görsdorf, Jäger 1987; Litt 1988; Hiller, Litt u Eissmann 1991) sowie in episodisch durchflossenen Dellen (Lozek 1976). Nicht immer sind Befunde naturräumlicher Veränderung eindeutig interpretierbar und nur einem der erwähnten Ursachenkomplexe zuzuordnen.

Besonderer Untersuchungen bedurfte deshalb u.a. die Frage, inwieweit archäologisch erkennbare Intensivierungen von Besiedlung und Landnutzung in zurückliegenden Jahrtausenden durch natürliche Klimaänderungen beeinflusst oder sogar verursacht bzw. umgekehrt deren Anlass gewesen sind (Jäger 1999 c). Einwände begründen freilich sowohl das Ausmaß der Niederschlagsminderung in Trockenschwankungen der Nacheiszeit (bis über 20% im Vergleich zu aktuellen Mittelwerten: Schulze 1980; Jäger 2002) als auch deren zeitliches Zusammentreffen mit Unterbrechungen und partieller Rückläufigkeit im nacheiszeitlichen, eustatisch bedingten Meeresspiegelanstieg in den Küstenregionen an Nord- und Ostsee (Hageman u. Jäger 1996).

Unzweifelhaft sind dagegen die Folgen eines mehrfachen Wechsels von Perioden mit solchen verminderten Niederschlagsangeboten für den landschaftlichen Gesamtwasserhaushalt (Jäger 2002), beispielsweise mit der Konsequenz weiträumig weitgehend synchroner Wasserstandsschwankungen mitteleuropäischer Binnenseen (Jäger 1987, 2001), deren erste Zeugnisse mit Spuren urgeschichtlicher Uferbesiedlung in heutzutage subhydrischen Gewässerrandpositionen bereits Mitte des 19. Jahrhunderts wissenschaftlich untersucht wurden (Keller 1854) sowie mit der Vorstellung sogenannter urgeschichtlicher „Pfahlbauten“ einige Popularität gewonnen haben (zur Befunddiskussion u.a. Paret 1946; Schlichtmerle 1985, S. 32 und 1989).

Seit weinigen Jahrhunderten ergänzen immer mehr gezielte und beabsichtigte Änderungen der Naturraumausstattung durch den Menschen diese Vorgänge. Ein deutliches Beispiel ist die umfassende anthropogene Umgestaltung des brandenburgischen Gewässernetzes seit dem Mittelalter (Driescher 1969, 1974, 1975). Zugleich wurden die Grundwasserstände mit dem Einzug der deutschen Siedler im 11. Und 12. Jahrhundert durch Mühlenstaue im Einflussbereich von Flüssen und Seen erhöht (besonders Beschoren 1935 a und b, Hermann 1959). Im 18. Jahrhundert setzten dann durch Trockenlegung von Sumpfgebieten Grundwasserabsenkungen ein (Succow 1981). Das Grundwasser wurde seit dieser Zeit – geschätzt nach den forstlichen Standortskarten – bei mindestens der Hälfte der grundwasserbeeinflussten Böden abgesenkt. Die Folge war ein erheblicher Humusschwund, dessen Ausmaß noch nicht errechnet wurde. Wie eine Reihe slawischer und frühdeutscher Siedlungsspuren unterhalb der heutigen Grundwasseroberfläche aber zeigen, ist auf erheblichen Flächen der heutige Grundwasserstand trotzdem noch höher als vor der Zeit des mittelalterlichen Anstiegs (Herrmann 1959).

Wesentlich tiefgreifendere Eingriffe waren regional mit der bergbaulichen Nutzung von Teilregionen des Tieflandes im nördlichen Mitteleuropa durch den Abbau tertiärer Braunkohlenflöze im Liegenden quartärer Schichtenfolgen verbunden. Sie gehen zu Lasten der mit dem Tagebaubetrieb zwangsläufig verbundenen Wasserhaltung und führten auch relativ großräumig zu Absenkungen des Grundwasserspiegels mit entsprechenden Konsequenzen für die naturräumlichen Bedingungen größerer Gebiete. Nach der Aufgabe vieler Tagebaue vor allem im östlichen Deutschland nach 1989 wurde die Entwicklung der Grundwasserstände teilweise rückläufig, sofern die Wasserhaltung nicht beibehalten werden muss, der sich zwischenzeitlich entstandene Landnutzungsstrukturen bereits angepasst hatten.

Mit dem Tagebaubetrieb waren in den betroffenen Teillandschaften im nördlichen Mitteleuropa (Ville im Niederheingebiet, Lausitz, Leipziger Tieflandsbucht, Gebiet der Lausitzer Neiße) überdies umfangreiche Umgestaltungen von Relief und Naturraumausstattung durch extreme Unterlagerungen von Lockermaterial verbunden. Allein für das nordwestliche Sachsen wurden bereits bis ca. 1975 „etwa 500 km² Fläche vom Bergbau in Anspruch genommen und dabei größenordnungsgemäß 25-30 Mrd m³ Bodenmassen unter Zerstörung des natürlichen Schichtgefüges bewegt (Eismann 1975, S. 188). Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang der Hinweis von Eissmann (ca.a.o.), wonach diese Menge wohl „ein Mehrfaches derjenigen betragen, die in der gesamten Spät- und Nacheiszeit, also in einem Zeitraum von 15000 Jahren, im gleichen Gebiet auf natürliche Weise umgelagert und weggeführt worden sind“

Sehr deutlich ist auch die Veränderung der Vegetation. Dies betrifft einmal die agrarisch verursachte Entwaldung großer Teile des Tieflandes und ihre Umwandlung in Acker und Grünland. Aber auch in den verbleibenden Waldflächen wurde die Zusammensetzung der Vegetation vielfach verändert. Zeitweilige Acker- und Streunutzung führten zum Einwandern von Vorwald-Baumarten auf ursprünglichen Laubwald-Standorten, vor allem zur Ausbreitung der Kiefer. Mit Beginn der geregelten Forstwirtschaft wurde dann die Bestockung großer Gebiete unmittelbar durch verstärkt Kiefernanbau verändert.

Alle beschriebenen Veränderungen der naturräumlichen Gegebenheiten sowohl diejenigen mit ausschließlich natürlichen Ursachen wie auch diejenigen, die ihrerseits durch menschlichen Eingriff in die naturräumliche Ausstattung verursacht worden sind, haben die Existenzgrundlagen menschlicher Bevölkerung mehr oder minder tiefgreifend und nachhaltig beeinflusst. Folgen für Besiedlungsdichte und Besiedlungsverteilung waren demgemäß ebenso unausweichlich wie historische Konsequenzen und sind folgerichtig nicht erst im Lichte schriftlicher Quellen für die letzten Jahrhunderte, sondern dank archäologischer Befunde bereits für die vorangehenden Jahrtausende nachweisbar (Jäger 2002 a, b). Diese Befunde verdeutlichen vor allem Abhängigkeiten von Besiedlung, Landnutzung und Geschichtsabläufen von einer sich wandelnden Umwelt. Umgekehrt haben jedoch eben diese Faktoren – Besiedlung, Landnutzung. Geschichtsabläufe – indessen auch direkt zum Umweltwandel beigetragen. Umweltwirksamkeit steht neben Umweltabhängigkeit, hat in den letzten Jahrtausenden an Intensität und Ereignisdichte gewonnen und dabei immer mehr Komponenten der natürlichen Umweltausstattung mitsamt ihren Wechselwirkungen erfasst (Jäger u. Bernhardt 1987, 1995). Dieser Prozess hat sich im Verlauf der letzten acht Jahrtausende in mehreren Etappen vollzogen, die in deutlicher Beziehung zur Entwicklung der wirtschaftlichen und technischen Möglichkeiten der Bevölkerung stehen. Deren Fortschritt ermöglichte eine Beschleunigung der Umweltbeanspruchung, die schließlich zur komplexen Umweltproblematik der Gegenwart führte (Belege im einzelnen bei Bernhardt u. Jäger 1985). Beigegebene Tabellen verdeutlichen Merkmale der Hauptetappen dieser Entwicklung (Tab. 8...11).


Tab. 8: Beanspruchung und Beeinflussung der Naturraumerstattung in Mitteleuropa im Zeitraum vom Neolithikum bis zum Mittelalter (aus Jäger u. Bernhardt 1995, S. 130-131)


Tab. 9: Beanspruchung und Beeinflussung der Naturraumausstattung in Mitteleuropa während des mittelalterlichen Landesausbaues (ca. 6./12. Jh.) und im vorindustriellen Zeitraum der Neuzeit (ca. 12./18. Jh.), (aus Jäger u. Bernhardt 1995, S. 131)


Tab. 10: Beanspruchung und Beeinflussung der Naturraumausstattung in Mitteleuropa im Industriezeitalter (regional seit dem 18., weiträumiger im 19./20. Jh., aus Jäger u. Bernhardt, S.132)


Tab. 11: Beanspruchung und Beeinflussung der Naturraumausstattung im Hightech-Zeitalter bzw. der historischen Gegenwart (aus Jäger u. Bernhardt 1995, S. 132-133)


Eine vergleichbare Überschau über die in Tabelle 8...11 nachgezeichnete mehrtausendjährige Entwicklung lässt schließlich zeitübergreifende Tendenzen erkennen, die, wenn auch mit zeitlich wechselnder Intensität und Geschwindigkeit, von vergleichsweise bescheidenen Anfängen Schritt für Schritt zur komplexen Umweltproblematik der Gegenwart führen und die Frage nach Prognosen für den künftigen Ablauf herausfordern. Als zeitübergreifende Trends im Umgang der menschlichen Gesellschaft mit dem Naturraum scheinen sich abzuzeichnen (Jäger u. Bernhardt 1995, S. 133-134).

Je höher diese Labilität ist, desto größer wird der Aufwand zur Erhaltung eines künstlichen Gleichgewichts, umso schwieriger werden Aussagen zur prognostischen Entwicklung, um so kurzfristiger und unvermuteter können negative Reaktionen auftreten, die ein wachsendes Risiko bedeuten“ (Jäger u. Bernhardt a.a.o.). Kenntnisse bereitzustellen, die helfen sollen, dem zu wehren, ist Anliegen dieses Buches.