Erkundungsverfahren - Der Naturraum; Grundzüge der Methode

Unter Naturraum versteht man naturgesetzlich bestimmte Ausschnitte aus der Geosphäre beiderseits der Erdoberfläche (Haase u. Autorengem. 1991). Dazu gehören als Naturraumfazies die mineralisch-terrestrischen, semiaquatischen und aquatischen Naturräume, ferner als Besonderheit die Ost- und Nordseeküste als Teile der die Naturraumregion beeinflussenden Meere. Mit weitem Abstand herrschen mineralisch-terrestrische Naturräume vor. Die Offengewässer haben trotz geringen Flächenanteils eine hohe Bedeutung für den Naturraumhaushalt.

In vertikaler Erstreckung wird der Naturraum nach einem Vorschlag H. Richters (1980) in die Stockwerke gegliedert:

Unser Buch gilt dem Hauptstockwerk. Untergrund- und Tiefenstockwerk sind das Arbeitsfeld der Geologie; das Atmosphärenstockwerk ist das Forschungsgebiet der Atmosphärenkunde.Trotz dieser Einschränkung muss das Hauptstockwerk als Bestandteil des Naturraums aller vier Stockwerke betrachtet werden.

In lateraler (oder horizontaler) Erstreckung gliedert sich der Naturraum in Areale "relativer Gleichförmigkeit". Dabei unterscheiden wir nach Abb. A.1 mehrere Arealdimensionen, die grob mit dem Abbildungsmaßstab auf Naturraumkarten zusammenhängen. Die topische Dimension erfasst lateral annähernd strukturgleiche (quasi-homogene) Areale, die chorische Dimension erfasst Vernetzungen topischer Areale, von der mikro- zur makrochorischen in zunehmendem Vernetzungsgrad. Die regionische Dimension bezeichnet den Platz unseres gesamten Naturraums in erdweiter Betrachtung. Die Arealdimension kann man auch als räumlichen Auflösungsgrad bezeichnen.

Von der topischen Dimension ausgehend über die mikro- und mesochorische zur makrochorischen. Die Begriffe für die Arealdimensionen stammen aus der physischen Geographie (besonders Neef 1963, Haase u.a. 1991) und aus der forstlichen Standortskunde (besonders Krauß 1936, Ehwald 1953).

Die Areale der topischen Dimension werden gewöhnlich im Maßstab 1:10000 kartiert. Für besondere Genauigkeitsansprüche (Baumschulen, Arboreten) wurde im Maßstab 1:2000 bis 1:1000 kartiert (Lienig 1983). Wegen der Arealfülle kann man topische Areale nur typisiert zur Naturraumform als Zusammenfassung inhaltsgleicher Areale kartieren.

Die Arealdimensionen wurden von unten her erkundet und abgegrenzt, d.h. von Naturraummosaike oder Mikrochoren sind die erste Vernetzungsstufe von Naturraumformen. Auch Naturraummosaike sind typisierbar. Der Kartierungsmaßstab liegt zwischen 1:100000 und 1:25000.

Naturaumbezirke oder Mesochoren sind Naturraumareale mit Vernetzung zweiten Grades. Sie werden z. Z. im Maßstab 1:500000 dargestellt, sind aber auf den Minimalmaßstab 1:1000000 ausgerichtet. Obwohl bei jedem Areal die individuellen Eigenschaften vorherrschen, sind Mesochoren im nordmitteleuropäischen Tiefland noch grob typisierbar.

Naturraumgebiete oder Makrochoren sind großzügige Arealkombinationen von Mesochoren nach großflächig verbreiteten Naturraumeigenschaften. Im nordmitteleuropäischen Tiefland ist das die quartärgeologische Regionalstruktur, besonders die Trennung in Jung- und Altmoränenland, und das Großklima, besonders in seiner Abfolge vom maritimen Nordwesten zum stärker kontinental beeinflußten Südosten. Alle Makrochoren unterscheiden sich voneinander; sie sind nicht mehr typisierbar.

Als Naturraumregion gehört der Geltungsbereich dieses Buches einem einzigen Areal an: dem aus quartären Lockersedimenten der nordischen Inlandvereisung gebildeten Tieflandsgürtel des nördlichen Mitteleuropa, kurz: dem nordmitteleuropäischen Tiefland.

Die Begriffe Wuchsbezirk und Wuchsgebiet in der forstlichen Standortskunde entsprechen Naturraumbezirk und Naturraumgebiet in Abb. A.1.

Bei der Interpretation der Naturraumerkundung stehen die topische und die mikrochorische Dimension im Vordergrund. Diese Dimensionen nehmen daher auch in diesem Buch den größten Raum ein.

Für die Naturraumerkundung in den genannten Arealdimensionen hat sich ein Methodengefüge aus vier Arbeitsstufen bewährt:

  1. Basisteil mit Ausgrenzen von topischen, mikro-, meso- und makrochorischen Arealen nach naturräumlichen Strukturmerkmalen in Basiskarten, bei der topischen und mikrochorischen Dimension in Verbindung mit einer Klassifikation zu Naturraumformen und -mosaiktypen sowie deren bioökologische Gruppierung; inhaltliche Kennzeichnung in Legenden, Tabellenwerken und Erläuterungstexten, alles getrennt nach Stamm- und Zustandseigenschaften.

  2. Kennzeichnen dieser Arealeinheiten nach der ökologischen Funktionstüchtigkeit; dabei Überleiten der naturräumlichen Strukturmerkmale aus der ersten Arbeitsstufe in bio- und landschaftsökologisch aussagefähige Merkmale (Ökomerkmale)

  3. Zweigübergreifende Nutzungsinterpretation, vor allem für die Landschaftsplanung und Raumordnung, einschl. des Naturschutzes.

  4. Zweigbezogene Nutzungsinterpretation für Pflanzenbau (Waldbau, Dauergrasland, Feld-, Obst- und Gartenbau), landwirtschaftliche Tierhaltung, Fischerei, für die Nutzung als Wohn- und Produktionsstätte sowie die Altstoffverwertung, für die Wassernutzung und das Erholungswesen, alles in dem durch die zweigübergreifende Landnutzung bestimmten Rahmen.
Die Arbeitsstufen 2 bis 4 sind Ableitungen aus der Basiskarte. Die Basiskarte muss daher alle für diese Ableitungen erforderlichen Primärmerkmale enthalten.

Der Arbeitsstufe 1 geht eine Naturraumanalyse voran .Sie stützt sich für die topische Dimension auf einen gezielt gestreuten Schwarm von Aufnahmepunkten mit vollständiger Aufnahme der Relief-, Boden-, Schwerkraftwasser- und Vegetationsmerkmale, beim Boden einschl. einer großen Zahl laboranalytisch definierter Merkmale. Bei der chorischen Dimension ist die Naturraumanalyse auf die Topvernetzung und ihre Gesetzmäßigkeiten gerichtet.

Die Naturraumnanalyse führt zur Ausgrenzung von Elementararealen nach stabilen und langfristig gültigen Eigenschaften. Elementarareale sollen so gleichförmig sein, dass für alle denkbaren Interpretationen kein weiterer Teilungsbedarf besteht.

Aus geostrukturell vernetzten Elementararealen werden Mikrochoren gebildet, aus diesen Mesochoren als chorische Aggregation zweiten Grades und aus Mesochoren chorische Aggregationen dritten Grades als Makrochoren.

Inhaltsgleiche Areale werden zu Typen klassifiziert, soweit das von ihrer Anzahl her erforderlich ist. Das trifft, mit abnehmender Dringlichkeit, von der topischen über die mikrochorische zur mesochorischen Dimension zu; bei der makrochorischen Dimension sind alle Areale einmalig.

Die typisierten Naturräume werden bezeichnet als

  1. Naturraumform in der topischen Dimension

  2. Naturraummosaiktyp in der mikrochorischen Dimension

  3. Mesochorentyp als grob typisierte Naturraumbezirke in der mesochorischen Dimension.

Naturraumform und -mosaiktyp setzen sich aus den Komponenten Boden, Schwerkraftwasser, Lufthülle und Relief sowie der Vegetation zusammen, beim Boden und der Vegetation, in Ansätzen auch beim Klima mit Teilkomponenten nach Stamm- und Zustandseigenschaften, so dass deren Kombination zur Trennung in Stamm- und Zustands- Naturraumform bzw. -mosaiktyp führt (Tabelle 1 und 2)


Tab. 1: Naturraumform nach Komponenten und Beeinflussbarkeit der Eigenschaften



Tab. 2: Naturraummosaiktyp nach Komponenten und Beeinflussbarkeit der Eigenschaften

Bewertet man die Naturraumkomponenten ganz allgemein auf ihren räumlichen Auflösungsgrad, so steht die Kombination von Boden, Relief und Schwerkraftwasser weit voran, das Großklima dagegen weit zurück. Großklimaunterschiede werden erst mit größer werdender Arealdimension bedeutender. Gleiches gilt für die diese Eigenschaften widerspiegelnde Stammvegetation.

Bewertet man die Aussagefähigkeit der Naturraumkomponenten auf zeitliche Aktualität, so steht voran die Zustandsvegetation und die von ihr widergespiegelten Zustandseigenschaften von Boden, Schwerkraftwasser und Klima. Die Stammeigenschaften des Bodens dagegen drücken auf großen Flächen besonders im Anhydromorphen, Eigenschaften vergangener Naturraummilieus aus.

Naturraumform und -mosaiktyp sind zunächst nach naturräumlichen Strukturmerkmalen definiert, wobei ortsfeste jahreszeitenunabhängige Merkmale Vorrang haben. In einem weiteren Teilschritt werden sie nach der Verwandtschaft ihrer natürlichen Vegetation zu Ökotop- und Ökochorentypen gruppiert. Dabei wird, wie bei den Naturraumformen und -mosaiktypen, zunächst getrennt nach Stamm- und Zustandseigenschaften gruppiert, so dass auch die Ökotypen beider Dimensionen sich aus Stamm- und Zustands-Teileinheiten zusammensetzen. Die Ökotypen sind die Naturraumbasis für bioökologische Interpretationen.

Die getrennte Erfassung von naturräumlichen Stamm- und Zustandseigenschaften schafft die Möglichkeit, auf der Basis gleichbleibender Stammeigenschaften den zeitlichen Wandel der Zustandseigenschaften durch Wiederaufnahme oder Wiederkartierung zu verfolgen. Die Folgen dieses Zustandswandels ziehen sich durch alle Arbeitsstufen. Dadurch gewinnt unser Verfahren ausgeprägt dynamische Züge.

Für die Offengewässer gilt dies alles in ähnlicher Weise. Nur steht hier die mikrochorische Dimension im Vordergrund, und bei der Typisierung ist der Gewässerzustand vorrangig zu erfassende Eigenschaft. Die Naturraumkomponenten sind die gleichen wie bei den Landflächen; nur befindet sich die Komponente Wasser hier über dem Boden, umgekehrt wie bei den Landflächen (Abb. 2).

Die Arbeitsstufe 2, Interpretation auf ökologische Funktionstüchtigkeit, kennzeichnet die Naturraumtypen der topischen und mikrochorischen Dimension - die Naturraumfazies übergreifend - nach dem bioökologischen Potential aus Phytomasseproduktivität und biotischer Vielfalt und nach wichtigen Teilhaushalten, wie Oberflächenstabilität, Wasser- und Humushaushalt, Stickstoff- und Säure-Basenhaushalt.

Bei der Arbeitsstufe 3, der zweigübergreifenden Nutzungsinterpretation im Dienste der Landschaftsplanung und Raumordnung, kommt der übergreifend angelegte Basisteil unseres Verfahrens voll zum Tragen. Diese Interpretation greift ebenfalls über alle Naturraumfazies hinweg. Vorrangige Arealdimension ist die mikrochorische mit Naturraummosaiken. Voll zur Geltung kommt hier auch die getrennte Erfassung der Stamm- und Zustands-Naturraumeigenschaften mit den Abweichungen zwischen beiden und dem zeitlichen Verfolgen des Zustandswandels. Eine zweigübergreifende Aufgabe ist auch die Interpretation für den Naturschutz.

Die zweigbezogene Interpretation der Arbeitsstufe 4 stützt sich je nach Landnutzungszweig auf unterschiedliche Naturraumeigenschaften. Durch den breit angelegten Basisteil, im Blick auf die Naturraumfazies, die Naturraumkomponenten und auch die Arealdimensionen, finden alle Landnutzungszweige die für sie erforderliche Naturraumbasis. So steht bei den Zweigen des Pflanzenbaus die topische Arealdimension mit allen Komponenten der Naturraumform getrennt nach Stamm- und Zustandseigenschaften im Vordergrund. Bei der wasserwirtschaftlichen Nutzung ist es das Schwerkraftwasser mit seinen Naturraumbedingungen für die Grundwasserneubildung (Versickerungsfähigkeit des Bodens, Phytomasseproduktivität der Vegetation).

Voll ausgereift ist die zweigbezogene Interpretation bisher nur für den Waldbau. Zur Nutzungsinterpretation für Dauergrasland, den Feldbau, die Nutzung als Wohnstätte, die wasserwirtschaftliche Nutzung und die Nutzung für das Erholungswesen gibt es Ansätze.

Die Ergebnisse der Arbeitsstufen 2 bis 4 werden entweder auf Ableitkarten und entsprechenden Teilen von Legenden und Erläuterungstexten oder nur tabellarisch in Legenden und Erläuterungstext dargestellt.


Tab. 3: Verfahrensschema der Naturraumerkundung

Die hier zunächst eindimensional betrachteten Grundzüge des Verfahrens werden in dem Verfahrensschema der Tabelle 3 zu einer zweidimensionalen Betrachtung in stark verdichteter Darstellung verflochten. Lateral sind darin die Naturraumeigenschaften nach Naturraumfazies, Arealdimension und Naturraumkomponenten dargestellt und vertikal die Arbeitsweise nach Arbeitsstufen sowie der im Verfahren auszudrückende Erkundungsaspekt für die Typenbildung bzw. Interpretation.

Der Erkundungsaspekt ist gerichtet

  1. auf Unterscheidung von geobiostrukturell und ökologisch

  2. auf Unterscheidung von Stamm- und Zustandseigenschaften

  3. auf die Kennzeichnung von Naturraumveränderungen.